17. Juli 2022
World Games | wir waren 180 Sekunden vor Bronze
(JS) Direkt nach dem Spiel war es ruhig in der Kabine. Keiner sagte etwas, gar nichts. Vielleicht hörte man ein Schlucken. Wenn Tränen Geräusche machen würden, wäre es laut gewesen. War es aber nicht. Der Schmerz saß tief.
Wir hatten gerade das kleine Finale, also das Spiel um Bronze verloren. Auf die schmerzlichste Art, wie man ein Spiel verlieren kann: 3 Minuten vor Schluss. Durch nur einen entscheidenden Treffer. Im Spielbericht steht nur reichlich emotionslos: GER-TPE 22:23. Aber so einfach war es nicht. Der Versuch einer Analyse…
In einem Turner mit nur 8 Teams gibt es keine schwachen Spiele. Jeder kleine Fehler wird bestraft. Wir wussten das und hatten keine andere Wahl, als gegen Surinam und China „Vollgas zu geben“. So leicht gewinnt man gegen diese Teams nicht. Wir ja. Gruppenzweiter.
Vergessen wir das Halbfinale. Als klar war, dass unser Gegner im Spiel um Bronze Chinese Taipeh hieß, möchte ich nicht wissen, wie viele unser Team schon auf der Verlierer-Straße sahen. Unser Gegner ist Weltranglisten-Dritter. Wurde bei der WM in Südafrika 2018 Bronzemedaillengewinner. Vor 5 Jahren bei den letzten World Games in Wroclaw spielten wir gegen sie und gingen 22:14 unter. Das sollte heute nicht passieren.
Wir haben immer noch einen „Lauf“. Und wollten hier zeigen, dass wir auch Korfball spielen können und berechtigt auf Platz 5 der Weltrangliste stehen. Natürlich liegt man auch schnell hinten, gerade gegen TOP-Teams kommt man schnell unter die Räder. Die Trainer hatten einen Plan. Und spätestens nach dem 1. Viertel, beim 8:8 merkten alle in der Halle, dass hier etwas passiert. Zur Halbzeit führten wir gar mit 17:15. Dann hatten wir eine schwächere Phase, Chinese Taipeh auch, 3. Viertel 2:2, wir lagen immer noch 2 vor- hatten aber noch 10 Minuten vor uns.
Q4 verloren wir 3:6. Hört sich schlimmer an, als es ist. Am Ende stand dann allerdings für Taiwan einer mehr auf der Tafel. Ich meine, man merkte uns an, dass wir der Länge und Intensität dieses Turnieres jetzt Tribut zollen mussten. Die Konzentration ließ ein wenig nach, vielleicht auch etwas die Kräfte. Aber bis 180 Sekunden vor Schluss stand es noch unentschieden. Wir führten im Q4 21:20 und 22:21. Und dann bäumte sich die „asiatische Korfballmaschine“ noch einmal auf und warf 180 Sekunden vor Abpfiff nicht nur die erste Führung im Spiel, sondern damit auch den Siegtreffer. Das macht es ja gerade auch so tragisch.
… Die Stille in der Kabine löste sich langsam. Bundestrainer sprachen dem Team höchsten Respekt aus.
„Der Stolz über diese Leistung muss über der Enttäuschung stehen.“
Und das tut es jetzt auch. Die Vizepräsidenten DOSB und DTB, Oliver Stegemann und Dr. Christian Frenzel waren in der Halle und gratulierten uns, ebenso wie die halbe Korfballwelt.
Wir haben ein Ausrufezeichen gesetzt und dafür den gebührenden Applaus bekommen.
Und als die Stimmung etwas besser wurde, wurden in der Kabine Lea Sander und Timon Orth verabschiedet, die heute ihre letzten Länderspiele für Deutschland absolvierten. Da schwappte die Emotionswelle wieder hoch.
Heute Abend noch Abschlusszeremonie im Protectiv-Stadion Birmingham und dann sind die World Games 2022 (sportlich) Geschichte. Unsere Berichterstattung noch nicht.
Jochen Schittkowski, Teammanager, BJCC Birmingham/AL, USA